Marietta Merck, die Mutter von Heidy Stangenberg-Merck, hatte sich der altmeisterlichen Technik der Malerei verschrieben. In ihrem Werk „Die Zeitungsfrau“ ließ sie sowohl barocke Tendenzen, als auch den Stil des Realismus einfließen.
Barocke Darstellungen des Menschen sind oft Träger einer gesamtkompositionellen Bewegung. Die Dargestellten werden in einer effektvollen Pose abgebildet, meist theatralisch oder auch pathetisch, entweder lebhaft bewegt oder ruhig besonnen, den Blick leer, nichts fixierend und gleichzeitig nach innen verloren, so wie es auch in diesem Portrait der Fall ist. Es wird eine Zeitungsfrau dargestellt und somit unweigerlich auf die schwer arbeitende und schlecht entlohnte Bevölkerungsschicht verwiesen. Es handelt sich somit um ein Portrait mit Genre-Charakter. Bereits im Barock verspürten die Künstler den Drang, verschiedene gesellschaftliche Schichten zu portraitieren, dieser künstlerische Drang kulminierte jedoch erst zur Zeit des Realismus im 19. Jahrhundert. In dieser Stilepoche, in der sich die Kunstschaffenden, allen voran als großes Vorbild der französische Künstler Gustave Courbet, von den klassizistischen und romantischen Normen des Schönen und Idealen endgültig abwandten und ihr Interesse den Lebensbedingungen der gesellschaftlich unteren Schichten zuwandten, galt das Hauptanliegen der Realisten der Schaffung einer allgemein verständlichen Kunst, die nicht an Bildungseliten gebunden war. Thematisch wurden sozialkritische Fragen bildnerisch aufgegriffen, weshalb eine gedeckte, erdige und oft dunkeltonige Farbigkeit gewählt wurde. An diesem realistischen Gedankengut orientierte sich auch die Künstlerin Marietta Merck, die hier eine realistische Darstellung einer schwer arbeitenden Frau darstellt. Merck zeigt ein Wirklichkeitsverständnis, welches bildinhaltlich das von ihr Gesehene ungeschönt und nicht idealisiert wiedergibt. Die Frau ist im strengen Profil dargestellt, ihre Schulter jedoch leicht angeschrägt, was dem strengen Bildcharakter aufbricht und die Frau „gebrochen“ wirken lässt. Ihr von der Arbeit leicht gekrümmter Rücken unterstreicht diesen Eindruck. Ihr gesenkter Blick, gut durch die niedergeschlagenen Lieder erkennbar, lässt den Betrachter eine müde und erschöpfte Arbeiterin erblicken. Das weiße Tuch, welches um ihr Haupt gebunden ist, unterstreicht wiederum das Abbild einer stetig arbeitenden Frau. Merck setzt weiterhin gekonnt das stilistische Mittel des dunkeltonigen monochromen Hintergrundes ein, um die Gesamtstimmung der Komposition zu untermalen. Somit arbeitet sie deutlich die Intension ihres Portraits heraus, indem sie die Arbeiterin mit versunkenem, ins Leere gerichtetem Blick abbildet und so die Wirkung des erschöpften Zustandes der zu Portraitierenden in einer Momentaufnahme einfängt. Isabella Schnürle
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AutorenYvonne Weber-Sturm Archiv
April 2021
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