Die Entwicklung des Portraits bei Heidy Stangenberg-Merck - Die 1950er Jahre Ein weiteres Bild der Reihe Die Entwicklung des Portraits bei Heidy Stangenberg Merck stellt das Exponat Portrait Reimund aus dem Jahr 1956 dar.
Stangenberg-Merck, immer noch dem Œuvre Kokoschkas nachsinnend, schuf hier ein Kinderportrait. Bei wem es sich um Reimund handelt ist nicht bekannt. Die Künstlerin stellt das Kind jedoch mit sehr ernster Miene dar und im Gegensatz zu den anderen bisher vorgestellten Portraits, die alle die Dominanz einer warmen Farbpalette aufweisen, dominiert hier eine sehr kühle, metallisch wirkende Farbigkeit. Eine vergleichbare Verwendung solch einer Farbigkeit in der Kunstgeschichte, ist allein zur Zeit der Neuen Sachlichkeit zu finden. Die Künstlerin stellte den Jungen hier im Schulterstück dar. Im Gegensatz zu ihrem sehr dynamischen Selbstportrait, wirkt der Portraitierte hier stillsitzend und regungslos, etwas, das für ein Kind diesen Alters eher untypisch erscheint. Die Tatsache, dass Künstler mit Portraits auch den Charakter der abgebildeten Person darstellen wollen, scheint hier von Stangenberg-Merck in anschaulich umgesetzt worden zu sein. Der Knabe erscheint kühl und distanziert, er blickt den Betrachter nicht an, sondern scheint mit leerem Blick an diesem vorbeizuschauen. Das Inkarnat ist nicht, wie bei den bisher präsentierten Bildnissen, in rosé-dominierter Farbigkeit gestaltet, sondern grünlich-gelb gearbeitet. Auch dies ist ein typisches Merkmal der Malerei im Stile der Neuen Sachlichkeit. Die Neue Sachlichkeit ist eine Stilrichtung, die sich nach dem Ersten Weltkrieg etablierte. Sie verlangt die reine, naturalistisch, nicht verschönte und nicht idealisierte Darstellung der Welt. Der vorkriegszeitliche Expressionismus mit aller Dynamik und Farbigkeit scheint den Künstlern der Neuen Sachlichkeit nach den Folgen des Krieges unangebracht, sie wollen die nachkriegszeitliche Realität abbilden. Führend hier ist der Künstler Otto Dix, der beispielsweise mit seinem Werk Streichholzhändler II (1927), heute kuratiert in der Kunsthalle Mannheim, dem Betrachter einen kleinen Jungen im Ganzkörperportrait präsentiert, der mit ärmlicher Kleidung und grün-gelblich dominierenden Farbigkeit abgebildet ist. Das Grün und Gelb ist nicht nur ausdrucksstark im Inkarnat zu erkennen, sondern scheint wie ein Schleier das komplette Werk zu überziehen. Dieses Stilmittel wendet Dix für die Mehrheit seiner Portraits an, um die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das Schicksal der abgebildeten Personen zu lenken und den Rezipienten somit auch auf die gesellschaftlichen Missstände der Zeit aufmerksam zu machen und zwar nicht nur durch die Wahl des Bildthemas, sondern auch durch die Art der stilistischen und formalen Gestaltung. Eine ähnliche, allerdings nicht so drastische Wirkung hat auch das Werk unserer Künstlerin auf den Betrachter. Zum einen auf den Rezipienten wirksam durch das gelblich-grüne Inkarnat, aber weiterhin wirkungsvoll durch den gelb-grün-Schleier, der auch hier das komplette Exponat zu überziehen scheint. Der Fokus liegt hier zusätzlich auf der monochromen Hintergrundgestaltung, die erkennen lässt, dass erst die Farbe Gelb auf die Fläche und dann das Grün appliziert wurde um die gewünschte Farbwirkung zu erzielen. Es lässt vermuten, dass Stangenberg-Merck hier auf die Geschichte des Kindes verweisen will, das wahrscheinlich noch zu Kriegszeiten geboren wurde. Damit zeigt dieses Werk im Besonderen die tiefgründige und beseelte Arbeitsweise der Künstlerin Heidy Stangenberg-Merck. Isabella Schnürle
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AutorenYvonne Weber-Sturm Archiv
April 2021
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