Das hochformatige Ölbild „Auf der Straße“ von Heidy Stangenberg-Merck aus dem Jahr 1957 zeigt eine Abendstimmung im städtischen Raum.
Im Vordergrund links ist ein schmaler laubloser Baum mit kargem Geäst zu sehen, der sich durch seine dunkle Farbgebung stark konstrastierend vom helleren Hintergrund abhebt. Er gibt Auskunft über die Jahreszeit, in der die Szene spielt, es handelt sich um eine Winterdarstellung. Einen weiteren Hinweis auf die kalte Jahreszeit erhält der Betrachter durch die Kleidung der abgebildeten Personen. Im Mittelgrund bewegen sich vier in Mäntel gekleidete Personen auf dem grauen Bürgersteig: Das zentrale Personenpaar bilden eine Frau im leuchtend blauen Mantel mit roten Revers und ein Mann in Mantel und mit Hut, der sich hinter ihr im Schatten befindet und in dunklen Farbtönen nur als Silhouette wahrgenommen werden kann. Rechts hinter dem Paar befinden sich zwei Frauen vor einem Schaufenster eines Geschäfts, die linke in einem orangenen Mantel mit rotem Rock, die Person rechts gänzlich braun gekleidet. Den Hintergrund bildet ein grau-braunes Stadthaus; es füllt die oberen zwei Drittel des Bildraumes aus. Die große Fronttür und ein hohes Schaufenster weisen auf die Nutzung des ebenerdigen Hausteils als gewerbliches Geschäft hin. Hier befindet sich auch die Lichtquelle der Szenerie: Durch die große geöffnete Eingangstür und das Schaufenster wird der davor liegende Bürgersteig erhellt und macht die Pflasterung sichtbar. Schemenhaft sind im Gebäude weitere Personen zu erkennen: zwei betreten gerade das Geschäft, zwei weitere halten sich im linken Teil des Ladens auf. Am linken Bildrand ist ein nach hinten versetztes, blaues Gebäude angeschnitten, durch dessen Fenster Lichtausfall auszumachen ist. Heidy Stangenberg-Merck verzichtete bei diesem Bild wie bei vielen anderen auf Einzelheiten, die für die Erzählung ihrer Szenerie unwichtig wären: Der Betrachter erkennt keine Gesichter, keine genaue Ausstaffierung der Personen, keine Auslage im Schaufenster, architektonische Details werden nur rudimentär angedeutet. Es gelingt ihr, allein durch die Farbwahl und Farbkomposition die von ihr beabsichtigte Stimmung zu transportieren: ein kalter, dunkler Winterabend in der Stadt - es ist zwar schon dunkel, aber die Geschäfte haben noch geöffnet - den ihre Einwohner zum Schaufensterbummel nutzen, solange noch ein wenig künstliches Licht vorhanden ist. Bäume tragen kein Laub und ragen befremdlich-grotesk in die Höhe, die Farben der Stadt sind dunkel, zurückhaltend und monoton. Die farbige Kleidung der Flaneure und das Gelb der austretenden künstlichen Bleuchung des Ladens unterbrechen die Stimmung des langen kalten Abends: Farbtupfen, die die Tristesse bekämpfen. Yvonne Weber-Sturm
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AutorenYvonne Weber-Sturm Archiv
April 2021
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