virtuelles Museum Stangenberg Merck
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99. Tag: Marietta Merck, Holger

3/2/2021

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Holger, Kunstzement, o.J.; Holger, Öl, 1961
Marietta Merck formte Holger im Kindesalter als Porträtplastik und malte ihn in späteren Jahren nochmals als jungen Mann in Öl auf Leinwand. Beide Kunstwerke sind heute im 4. Stock des Museums zu sehen.

Das jüngere Porträt von Holger ist als Plastik aus Kunstzement geformt. Die Studie zeigt Holger im Kindesalter als verspielten, aber zugleich auch ernst blickenden Jungen, dessen Ohren keck abstehen.
Marietta Merck hat einen kindlichen Kopf modelliert, der nicht einfach nur kleiner geformt wurde als ein erwachsener Kopf, sondern wichtige Entwicklungsschritte aufweist. Ein wichtiges Kennzeichen ist, dass der Hirnschädel noch stark den Gesichtsschädel überwölbt, wie man es auch hier bei dem kleinen Holger sehen kann. Der Kleinkindkopf zeichnet sich hier durch die hohe Stirn aus, die Augenachse liegt auch nicht als waagerechte Teilung des Kopfaufbaus, sondern tiefer und gibt Anlass zur Spekulation, dass Holger hier wohl als ungefähr 5- jähriger Junge porträtiert wurde.
Die Gesichtszüge sind weich modelliert, das Kinn ist noch schwach ausgebildet. Die Wangenpartie ist besonders ausgeprägt herausgearbeitet und betont plastisch modelliert, eine typische Formensprache bei der Darstellung eines jüngeren Kindes. Auch die Augenpartie wurde besonders gut herausgearbeitet: Iris und Pupille wurden jeweils linearförmig in dem mandelförmigen Augenumriss eingekerbt. Die Iris wird durch das Oberlid leicht überdeckt und bewirkt damit eine geöffnete, entspannte Ruhehaltung in der Blickführung. Die dichte Haarpracht liegt fast wie ein Helm über der Kopfpartie, ohne einzelne Haarsträhnen zu betonen. So sind das Gesicht und die Augen das Bestimmende in dieser Plastik, die Haarpracht bildet einen geschlossen Umriss nach oben hin.
Der verspielte Eindruck dieser Plastik entsteht nicht nur durch das Kindhafte, sondern zum Teil durch die Formqualität, da runde, organisch fließende und geschwungene Elemente im Aufbau des Kopfes überwiegen. Mit dem Motiv des kleinen Jungen und den erkennbaren fließenden Formen wird ein emotionaler Ausdruckswert erzielt, der sich mit Begriffen wie lebendig, harmonisch, angenehm, weich und freundlich verbinden lässt.

Technisch wurde der Kopf vermutlich zuerst aus Ton additiv geformt und dann mit Hilfe des Kunstzements und einer angefertigten Gießform gegossen. Die Bestandteile dieser Steinguss-Mischung (es sind Anteile von Zement, Sand, Kies und Splitt vorhanden), sowie deren Körnung entscheiden dabei über die Haptik und Optik der späteren plastischen Arbeit. Bei dieser Kunstzementarbeit wurde eine feine Körnung gewählt, die mit ihrer weichen, glatten Oberfläche auch zu den feinen Gesichtszügen des kindlichen Modells passt und so eine Materialgerechtigkeit bewirkt. Ein kleiner Holzsockel dient der Standfestigkeit und wurde mit einem Metallstück am Halsaufbau der Plastik befestigt.

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Bei dem Ölporträt von 1961 ist Holger inzwischen als junger Mann in der Komposition eines Bruststückes zu erkennen. Holger trägt ein helles Hemd unter einer braunen Jacke, seine vollen braunen, markanten Haare umrahmen die obere Gesichtshälfte. Der Hintergrund ist schlicht aus drei breiten, vertikalen Streifen komponiert. Dadurch wird der Blick des Betrachters auf den Abgebildeten gelenkt. Holgers Blick erfasst wiederum den Betrachter eindringlich, dadurch sind Betrachtungsrichtung und Handlungsrichtung parallel. Seine Gesichtszüge sind farblich in Abstufungen modelliert. Das energische, jetzt erwachsene Kinn mit dem Grübchen, als auch die schmäleren Wangen fallen dem Betrachter ins Auge. Die Nase ist länglicher ausgebildet, die markante Ohrenpartie hat sich jedoch nicht verändert. Holger, der hier als ungefähr 18-20-jähriger junger Erwachsener abgebildet wurde, schaut sein Gegenüber eindringlich, klar und sensibel an.

Bei Holgers Körperhaltung hat Marietta Merck eine Position gewählt, bei der der Portraitierte seine rechte Hand vor die Brust legt. Vom Kompositionsschema her ist hier ein ähnliches Prinzip gewählt wie bei Albrecht Dürers „ Selbstbildnis mit Pelzrock“ aus dem Jahr 1500. Auch die klare Frontalität, eine „ en face“ Arbeit, die Eindringlichkeit des Blickes und die Formrichtigkeit erinnern an diese Komposition, ebenso die Schlichtheit des Bildaufbaus in einer strengen, achsensymmetrischen Komposition.
Marietta Merck hat jedoch im Unterschied zu Dürer nur beim Gesicht und der rechten Hand eine hohe Stofflichkeit gewählt. Das Gesicht ist in Farbabstufungen mit farbigen bläulich/grünlichen Schatten fein modelliert. Solche Farbmodellierungen wurden erstmals im Impressionismus, einer Stilepoche im 19. Jahrhundert, gewählt und tauchen bei weiteren Porträts von Marietta Merck auf (z.B. bei der „Jugoslawin“ von 1978). Lichteffekte betonen Holgers Nasenspitze, den Nasenrücken und den Ansatz seines vollen Haares. Holgers Haare und seine Kleidung wurden in schlichter und reduzierter Form dargestellt, um somit das Antlitz als Hauptelement der Komposition auszuweisen.
Die Klarheit und Eindringlichkeit dieses reiferen Porträts entsteht nicht nur durch die strenge, ausgewogene Komposition, sondern auch durch starke Kontraste innerhalb der Farbgebung. Marietta Merck wählt viele Hell-Dunkelkontraste, z.B. bei den dunklen braunen Augen im Verhältnis zum hellen Inkarnat, der dunklen Jacke zum hellen Hemd oder dem braunem Haarschopf zum hellen Hintergrund.

Auch wenn beide Porträts unterschiedliche Ausstrahlungen besitzen, legt Marietta Merck bei beiden Porträtausführungen, sei es die frühe Plastik oder das spätere Ölgemälde, Schwerpunkte in der künstlerischen Detailausführung. Gerade das bewusste Weglassen von einigen äußeren unwesentlichen Details als gestalterisches Mittel unterstützt die Inhaltlichkeit und hebt die Betonung der Wertschätzung des persönlichen Wesens von Holger hervor, den sie in Abständen zweimal in seiner Entwicklung abgebildet hat.

Ute Lieser
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    Autoren

    Yvonne Weber-Sturm
    Leiterin des Museums
    ​Stangenberg Merck

    Karl Stangenberg
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    Viktoria Hellriegel
    ​Ute Lieser
    ​Dr. Roland Held

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