Der studierte Orchestermusiker Karl Stangenberg wurde sowohl an der Essener Folkwangschule für Musik, Tanz und Sprechen, sowie der Staatlichen Hochschule für Musik in München ausgebildet und schloss sein Studium mit Auszeichnung ab. Nachdem er als Querflötist sowohl im Orchester Hannover, als auch in Recklinghausen spielte, kristallisierte sich seine Vorliebe für die virtuose Blockflöte immer weiter heraus. Im Jahr 1959 gründete er zusammen mit dem Konzert- und Oratoriensänger Friedrich Brückner-Rüggeberg die Capella Monacensis – Münchner Solistenvereinigung zur Pflege alter Musik e.V., mit der er weltweite Tourneen als Blockflötensolist absolvierte. In dieser Zeit spielte er circa 20 Tonträger ein, von denen in den Jahren 2005 bis 2018 die Tonaufnahmen digital überarbeitet und in Form von fünf CDs als musikalische Retrospektive editiert wurden. Besonders der Barockkomponist Georg Friedrich Händel (1685-1759) erfährt spezielle Aufmerksamkeit, da Stangenberg seinem musikalischen Blockflötenwerk einen eigenen Tonträger mit dem Titel „Händel – Sonaten und Fughetten für Blockflöte“ widmete. Händel komponierte die Blockflötensonaten für Princess Anne Stuart, spätere Königin von England, Irland und Schottland, in deren Auftrag er auch das bekannte Utrechter Te Deum und Jubilate schrieb. Speziell die Sonaten komponierte er für den Cembalounterricht der Princess, bei dem der Komponist selbst den Part des Blockflötensolisten übernahm. Dadurch wird deutlich, dass nicht nur die Cembalostimme, sondern vorwiegend die Blockflötenstimme meisterhaft gestaltet wurde. Die Blockflöte, die ihren Höhepunkt in der Musik des barocken Zeitalters erfuhr und dazu auserkoren war, die Singstimme zu imitieren, wird bei Händel in der gesanglichen Linie der solistischen Stimmführung hörbar gemacht. Insgesamt gelten Händels Blockflötensonaten als die klanglich anspruchsvollsten des Blockflötenrepertoires und nehmen auch im musikalischen Werk Karl Stangenbergs eine außerordentliche Priorität ein. Auf dieser CD spielt Stangenberg drei der sechs Händelsonaten für Blockflöte virtuos ein, dabei ist für den Rezipienten deutlich herauszuhören, dass besonders auf die Materialität der Blockflöte geachtet wurde, die den Klang des Instrumentes ausmacht. Für einen qualitativ hochwertigen Klang ist die Materialhärte der Blockflöte entscheidend. Hierfür wird ausschließlich langsam wachsendes Holz, wie Rosenholz oder Buchsbaumholz verwendet. Dies kann an denen im Museum Stangenberg Merck ausgestellten Blockflöten aus dem Besitz Karl Stangenbergs besichtigt werden. Isabella Schnürle Die CD "Händel. Sonaten & Fughetten für Blockflöte, Solist Karl Stangenberg" kann im Shop des Museums Stangenberg Merck für 15,- erstanden werden. gerne schicken wir Ihnen auch ein Exemplar auf Rechnung zu.
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HSTM, Interieur Paros, Tempera, 1960 Im April 1959 verbrachte Heidy Stangenberg-Merck vier Wochen auf der Kykladeninsel Paros; es war insgesamt ihre dritte Griechenlandreise. Ihre spätere Herzensinsel Amorgos hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht für sich entdeckt, es gab aber auch noch so vieles in Griechenland zu erkunden. Die Insel in der Ägäis ist bekannt für ihre traditionellen Dörfer und wunderschönen Strände, familiengestifteten Klöster, eine der schönsten griechischen Kirchen (Panagia Ekatontapyliani in Parikia) und nicht zuletzt für ihren feinkörnigen weißen Marmor, den bereits die Künstler der Antike zu schätzen wussten, und aus dem beispielsweise die Venus von Milo gefertigt wurde. Beliebt ist auch das authentische Fischerdörfchen Naoussa, deren Hafen nur einheimische Fischerboote anlaufen dürfen. Der Hauptort der Insel ist Parikia, das sich sich einige Kilometer entlang der Küste im Nordwesten zieht. Zentraler Punkt Parikias ist die Altstadt mit Blick auf den Hafen, die den Besucher einlädt, in zahlreichen Cafés den Schiffen beim An- und Ablegen zuzuschauen. Das Dorf Marpissa liegt auf einem flachen Hügel östlich des Kefalos-Berges etwa 1,5 Kilometer von der Küste entfernt. Der malerische Ort ist wie ein Amphitheater rund um einen Hügel gebaut und weist die für die Kykladen typischen weißgetünchten kubischen Häuser auf, eingepfercht in engen Gassen neben Kirchen und Windmühlen. Heidy Stangenberg-Merck zeigt in „Kiosk Paros“ ein typisches griechisches Kiosk, wie es im ganzen Land noch vorzufinden ist: ein hölzernes Periptero („rings umflügelt“) mit Markise. Das Periptero ist eine im griechischen Straßenbild weit verbreitete Institution. Periptera sind in aller Regel über die geläufigen Ladenöffnungszeiten hinaus geöffnet, auf eine kleine Fläche von einer Grundfläche von unter 2 qm, inklusive Markisen unter 12 qm begrenzt und bieten kleinteilige Waren wie Zigaretten, Zeitschriften und Süßigkeiten an. Früher erfüllte das Periptero auch die Funktion des öffentlichen Telefons. Lizenzen zum Betrieb eines Peripteros sind limitiert und werden vom zuständigen Verteidigungsministerium nur an Bedürftige wie Kriegsversehrte, Kriegerwitwen, Menschen mit Behinderungen etc., die aus sozialpolitischen Gründen eine Existenzgrundlage benötigen, vergeben. Heute werden noch circa 18.000 Periptera betrieben. Yvonne Weber-Sturm HSTM, Abend in Parikia, Öl, 1959 v.l.n.r.: HSTM, Auf Paros, Bleistift, 1959; Parikia 1959 (Foto: privat) v.l.n.r.: HSTM, Am Hafen von Paros, Bleistift, 1959; Fischer in Parikia, 1959 (Foto: privat) HSTM, Marpisa Paros, Linolschnitt, 1959 HSTM, Kiosk Paros, Tempera, 1959
Gudrun Cornford war bereits zwei Mal im Museum Stangenberg Merck zu Gast: Im Jahr 2015 mit der Sonderausstellung „Gudrun Cornford. Figurative Glasreliefs“ im Artificium des Museums Stangenberg Merck und zwei Jahre später mit Drahtplastiken im Park – anlässlich eines Aktionstages, an dem sich das Museum Stangenberg Merck alljährlich beteiligt: Am "Tag der offenen Gartenpforte" wird der sonst unzugängliche Privatpark des Anwesens für die Öffentlichkeit geöffnet und steht dem ausstellenden Künstler zur Verfügung. Die 1944 geborenen Gudrun Cornford arbeitete zunächst als Grafikerin, nachdem sie ihr Studium mit Schwerpunkt freie Zeichnung in Basel abgeschlossen hat. Zu skulpturalen Arbeiten kam sie im Jahr 1987 als Autodidaktin, erweiterte aber ihr Wissen immer wieder durch Teilnahmen an Seminaren für plastisches Gestalten an der TU Darmstadt. Ab 1996 übernahm sie u.a. an der FH Darmstadt unterschiedliche Lehraufträge: für plastisches Gestalten, Grundlagenzeichnen und experimentelles Zeichnen. Bildhauerisch tätig wurde Cornford zuerst mit Bronze, wobei sie sich als erstes Ziel die grundlegende haptische Erfahrbarkeit der Oberflächen setzte, um Figuren mit fließenden Bewegungen und gleichzeitiger Spannkraft zu kreieren. Ihre ästhetischen Figuren erscheinen weich und hart zugleich und zeugen von einer ausgewogenen und geometrisch kalkulierten Komposition, die auf Materialbeherrschung trifft. In den Jahren 2009 und 2010 arbeitete sie an lebensgroßen Plastiken aus Drahtgeflecht, 2011 schuf Cornford erste Glasplastiken: Cornford spielt mit der Transparenz ihrer gewählten Materialien: Das durchscheinende Glas wird unterschiedlich eingefärbt und erhält dadurch einen malerischen, wenn auch nicht ganz zu kontrollierenden Aspekt. Die aus Drahtgeflecht entstandenen Skulpturen sind von Haus aus durchsichtig: Das Umfeld, das Dahinter und die Perspektive liefern die Leinwand, vor der das Drahtobjekt bei jeder neuen Positionierung anders wirken kann. Yvonne Weber-Sturm v.l.n.r.: Miriam, Bronze, 1998; Lara, Bronze, 2007 Ascending and Descending, Glas, 2013 The Downward Fall, 2013 Jüngling, Drahtgeflecht, 2010 Viola, Drahtgeflecht, 2009 ![]() Das Buch „Duale Zeichenlehre“ erhalten Sie bei uns im Shop, bei der Künstlerin direkt oder bei Boesner. Weitere Informationen zu ihrem Werk und aktuellen Projekten finden Sie auf der Homepage der Künstlerin www.gudrun-cornford.de Das Portrait war für Heidy Stangenberg-Merck kein zentrales Thema, sie setzte sich aber immer wieder damit auseinander. Dabei spielte die physiognomisch naturgetreue Wiedergabe der Personen keine übergeordnete Rolle, sondern sie blieb ihrem abstrahierenden Stil treu, der Farbe der Form vorzieht. Heidy Stangenberg-Merck malte im Jahr 1977 das Doppelportrait „Zwei Generationen“. Das Ölbild zeigt zwei Frauen, die in einem Innenraum sitzen. Im Vordergrund ist eine jüngere Frau abgebildet, gekleidet in einem cremefarbenen Pullover und mit offenen Haaren, aus dem Bildrand nach links in die Ferne schaut. Ihr Portrait ist als Bruststück angelegt, d.h. der Großteil des Oberkörpers ist mit teilweise wiedergegebenen Armen dargestellt. Außerdem zeigt die Malerin sie im Dreiviertelprofil: Ihr Gesicht ist dem Betrachter leicht seitlich zugewandt. Links hinter ihr sitzt eine ältere Frau, die als Ganzfigur dargestellt ist, also in ihrer Gesamtheit zu sehen ist. Sie trägt ein schwarzes Kopftuch, eine schwarze Jacke, ein braunes Hemd und eine hellblaue Schürze über einem dunklen Rock und betreibt mit gebeugten Schultern Handarbeiten. Auch sie ist im Dreiviertelprofil angelegt, blickt aber nicht wie die Frau im Vordergrund geradeaus, sondern schräg auf den Boden. Heidy Stangenberg-Merck bildet Mutter und Tochter ab, die unterschiedlichen Zeiten verhaftet sind: Während die Mutter in traditionell dunklerer Kleidung abgebildet ist, die sie als Witwe auszeichnet und zurückgezogen nur im Hintergrund erscheint, ist die junge Frau im Vordergrund modern gekleidet und wirkt durch ihren Blick in die Ferne und ihre aufrechte Haltung selbstbewusst. Auch in kompositorischer und malerischer Hinsicht liegt die Betonung im gezeigten Doppelportrait auf der jungen Frau, die eine halbe Bildbreite und Dreiviertel der Bildhöhe einnimmt und viel heller beleuchtet wird. Heidy Stangenberg-Merck, die noch das traditionelle, ursprüngliche Land kennen- und lieben gelernt hat, thematisiert hier viel weniger die Darstellung der beiden realen Personen in ihrem Umfeld als Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Moderne, das alte Griechenland, das immer mehr verschwindet und das neue, das es zu entdecken gibt. Yvonne Weber-Sturm HSTM, Zwei Generationen, Öl, 1977 HSTM, Alte Kreterin, Öl, 1968 In der Dauerausstellung flankiert das Bildnis der alten Kreterin das hier besprochene Doppelportrait „Zwei Generationen“.
Traditionell gekleidet in einem Witwengewand wird auch sie mit Blick auf den Boden und gebeugten Schultern dargestellt. Die betagte Frau könnte als dritte Generation dem thematischen Kontext zugeordnet werden Warum, so wurde ich gefragt tät ich Gedichte schreiben. Darum, so habe ich gesagt weil sie nicht in mir bleiben. (Auszug aus „Problem Verstehn“, 2007) Neben der Musik und der bildenden Kunst widmet sich Karl Stangenberg in seinem Schaffen vor allem der Lyrik. Das Dichterhandwerk ist die Kunst den Lesenden zu einem Gedanken anzuregen, der in seiner Kurzweil berührt. Eben dieses Phänomen lässt sich in der Lyrik Karl Stangenbergs erfahren. In mittlerweile 14 Gedichtbänden verpackt Stangenberg Alltägliches, Sinnhaftes und Gedankenspiele in kurzen und prägnanten Gedichten. Die Gedichtsammlung „Problem Verstehn“ umfasst 72 Gedichte, die sich mit den verschiedensten Gedanken auseinandersetzen: Sei es die deutsche Zeichensetzung, der antike Philosoph Sokrates oder das allbekannte Weihnachtslied „O Tannenbaum“. Mit viel Witz hinterfragt der Dichter kritisch, zusammengefügt in Vers und Reim, Begebenheiten, die für den Lesenden bekannt und normal sind. Karl Stangenberg setzt seinen LeserInnen mit seinen Gedichten eine Brille auf, durch die sie die Welt aus seiner durchdachten und hinterfragenden Perspektive sehen können und verleitet dadurch zum Nachdenken, Schmunzeln und Lachen. Er weiß dass er nichts weiß so hört ich einen sagen. Woher er weiß dass er nichts weiß erlaubt ich mir zu fragen. (Auszug aus „Wörtlich Genommen“, 2009) „Wörtlich genommen – Gedichte über Gestern Heute und Morgen“ spricht für sich. Gedankenspiele über Gestern, Heute und Morgen sind in diesem Band zu finden und empfiehlt sich allen, die einen Augenblick festhalten, befragen und verstehen möchten. „Problem Verstehn – Gedichte über Reimen und Meinen, Sagen und Fragen“ vereint den Ernst der Sache mit seinem typischen Witz. „Probleme“ der Welt und des Einzelnen werden in Wort und Witz vorgestellt und gelöst – die Antwort auf alle Fragen, die dazu führt noch mehr fragen zu wollen. „Ambiente Instrumente – Musikalische Ungereimtheiheiten gereimt von Karl Stangenberg“ verspricht bereits im Titel wieder ein Meisterwerk aus Humor und Lyrik. Als Musiker nimmt er in diesem Band Instrumente und deren Spieler ins Visier – ein Band für alle Musiker, die gerne lachen. Diese und alle weiteren Bücher von Karl Stangenberg erhalten Sie in unserem Museumsshop. Der Katalog zur Lyrik von Karl Stangenberg ist online einsehbar unter: www.orlandus-verlag.info/karl-stangenberg/lyrik-von-karl-stangenberg. Gerne senden wir Ihnen die Bücher auch auf Rechnung zu, dazu schreiben Sie uns bitte eine Mail an mail@museum-jugenheim.de und sie erhalten das Buch per Post, zzgl. Versandkosten. Viktoria Hellriegel Heidy Stangenberg-Merck besaß nie wie viele andere Künstler ein Atelier abseits ihrer Wohnung - Leben und Arbeiten fand immer in denselben Räumlichkeiten statt. Ihre erste Adresse in München lag in der Isarvorstadt, in der sie und später auch gemeinsam mit ihrem Mann, Musiker Karl Stangenberg lebte und wirkte. Beide Künstler malten, musizierten und unterrichteten in der Klenzestraße 33/Ecke Gärtnerplatz. Später wechselten sie noch zwei Mal die Adresse innerhalb Münchens. Der Gärtnerplatz ist zentral gelegen und bildet ein Rondell, von dem sechs Straße abgehen. Eine davon ist die Klenzestraße, in der Heidy Stangenberg-Merck und Karl Stangenberg wohnten; Im Eckhaus Nr. 33 entstand eine Vielzahl ihres Werks der ersten Jahre. Benannt nach dem Architekten Friedrich von Gärtner, der u.a. Universität, Siegessäule und Ludwigskirche erbaute, wird der Platz durch den spätklassizistischen Bau des Gärtnerplatztheaters bestimmt. Das Bayrische Staatstheater am Gärtnerplatz widmet sich vor allem der „leichten Muse“ und gilt als Münchens Volksoper. Damals wie heute war der zentral gelegene Gärtnerplatz Teil des Münchner Szeneviertels und lud mit Bars, Restaurants und Cafés zum Schlendern, Verweilen und Beobachten ein. Aber auch ohne einzukehren konnte der Flaneur auf den baumbeschatteten Bänken, inmitten von Blumenrabatten und mit Blick auf den Brunnen, eine Pause einlegen. Und auch ein Künstler auf der Jagd nach Motiven kam nicht zu kurz: Selbstverständlich hielt Heidy Stangenberg-Merck auch die Umgebung ihres Wohnateliers fest. In unterschiedlichen Techniken malte, zeichnete und druckte Heidy Stangenberg-Merck ihr „Motiv vor der Haustür“. Yvonne Weber-Sturm HSTM, Winter am Gärtnerplatz, Öl auf Leinwand, 1956 v.l.n.r.: Blick aus dem Atelier auf den Gärtnerplatz, 1955; HSTM, Hinterhof am Gärtnerplatz, Radierung, o.J. HSTM, Gärtnerplatz, Linolschnitt, 1959 v.l.n.r.: HSTM, Gärtnerplatz, Monotypie, 1956; HSTM, Gärtnerplatz, Tusche, 1954 HSTM, Stillleben am Fenster, Öl auf Leinwand, 1954 (Der Blick hinaus auf die Klenzestraße)
Im obersten Geschoss des Museums werden seit der letzten Museumserweiterung im Januar 2020 die Kunstwerke von Marietta Merck, der Mutter von Heidy Stangenberg-Merck, umfassend präsentiert.
Nicht nur die schwerpunktmäßige Bildnismalerei wird dort gezeigt, sondern auch einige Skulpturen und Plastiken. Diese verweisen auf Marietta Mercks künstlerischen Einstieg von 1916, der bildhauerische Ausbildung in Jugenheim bei Daniel Greiner und auf ihre Fortsetzung der Bildhauerausbildung (1918-1921) in München bei Jenny von Bary und bei Eduard Beyrer. Der Künstler Daniel Greiner war mit Skulpturen an der Mathildenhöhe in Darmstadt beteiligt und besaß in Jugenheim eine große Steinmetzwerkstatt mit 30 Angestellten. Die Münchner Kunstkollegen Eduard Beyrer und Jenny von Bary waren auch bekannte Bildhauer, deren Kunstwerke heute noch die Pinakothek in München zieren. Eine Skulptur, die Marietta Merck geschaffen hat, zeigt einen weiblichen Frauenkopf, undatiert, der aus Sandstein behauen wurde. Diese Skulptur wurde substraktiv, also wegnehmend hergestellt - im Unterschied zu einer Tonplastik, die additiv und modellierend aus dem Nichts erschaffen wird. Das heißt, der Künstler muss sich beim subtraktiven Behauen eines Gesteinsblocks genau überlegen: „Was muss ich wegmeißeln, damit eine Nase entsteht, damit Wangen vorhanden sind usw., und das Ganze bitte noch in einer geordneten Gesichtsproportionierung.“ Die aus einem vorgegebenen Block entfernte Masse kann nicht wieder angefügt werden, also salopp formuliert gilt für das Behauen des Gesteinsblocks: „Was weg ist, ist weg!“ Korrekturen sind also bei skulpturalen Arbeiten nicht möglich und erfordern höchste Konzentration beim Arbeiten. Marietta Merck bildete beim Behauen des Sandsteins ihre eigene Mutter Julia Merck, ab. Ihre aus dem Stein gemeißelte Gesichts-Physiognomie ist erkennbar als ältere Frau. Teile ihres Hinterkopfes tauchen jedoch in einem fast unbehauenen Gesteinsteil ein, nur grobe Werkspuren des Meißels, die Bosse, sind auf diesem Gesteinsteil zu sehen. Dieses künstlerische Gestaltungsprinzip des Unvollendeten nennt sich non- finito. Die fertigen Teile des Kopfes, der Gesichts-Physiognomie, sollen durch dieses absichtsvolle Non-finito des Hinterkopfes umso kunstvoller erscheinen. Das sogenannte Non-finito-Prinzip hat schon Michelangelo angewandt bei seinen Sklavenskulpturen von 1513-16. Nur waren sich die Kunsthistoriker darüber uneinig, ob er diese Unvollendung wirklich als Stilprinzip beabsichtigt hat oder es nicht eher einem zu vollen Auftragsbuch geschuldet war. Erst mit dem Werk des Bildhauers Rodin um 1900 wurde das Non-finito zu einer autonomen , bewusst gewollten, selbständigen Kunstform. Wunderschön ist sein Beispiel von „La pensèe“ (Der Gedanke) von 1886: ein vollständig durchgearbeiteter weiblicher Kopf, der aus einem unbehauenen Marmorblock herauszuwachsen scheint und sich leicht wie ein Gedanke herauskristallisiert. Marietta Merck hat sich also nur ein paar Jahrzehnte nach Rodin mit diesem Non-finito beschäftigt und ihre Mutter Julia auf diese Weise verewigt. Bei diesem räumlichen Kunstwerk ist zusätzlich noch ein Anteil des Tastsinns zu beobachten. Die Oberflächenstruktur des bearbeiteten Sandsteins ist teilweise eher stumpf, teilweise aber auch sehr rau und grob und damit variabel. Die Oberflächenstruktur der benachbarten Bronzeplastik, Marietta Mercks „Flüchtlingsfrau“, ist eher glatter, etwas weicher anzufassen. Insgesamt sind fünf dreidimensionale Arbeiten von Marietta Merck im obersten Geschoss des Museums Stangenberg Merck zu sehen. Gipsplastiken und Kunstzementarbeiten runden das haptische Spektrum ab. Eine Plastik kann auch im Dunkeln existieren im Unterschied zu einem Bild, und so ist es weniger erstaunlich, dass große Museen mit aufwendigen Skulpturensammlungen auch Führungen für Blinde und sehbehinderte Menschen anbieten, da diese Kunst fühlbar und auch greifbar ist. Ute Lieser „Reisen nach Italien“: Unter diesem Titel zeigte das Museum Stangenberg Merck in der ersten Sonderausstellung nach dem Tod der Malerin Heidy Stangenberg-Merck bislang unveröffentlichte Bilder ihrer frühen Italienreisen. Von der Tuscheskizze eines norditalienischen Straßenzuges, über für die Künstlerin ungewohnt farbintensive Temperabilder Venedigs, bis hin zur mit schnellem Strich eingefangenen Ansicht eines sizilianischen Dorfes, Heidy Stangenberg-Merck war fast überall in Italien – und ihre Skizzenbücher waren immer dabei. Die hier gezeigten Bilder stammen aus der Sonderschau des Museums aus dem Jahr 2015. Ihre Aufenthalte in Italien waren nicht unbedingt (nur) der deutschen Italiensehnsucht geschuldet; als Kunststudentin beteiligte sich Heidy Stangenberg-Merck an zahlreichen Exkursionen der Münchner Akademie. Gerade wenn der Künstler zu Beginn seines Studiums das „Handwerkszeug“ erlernt, ist es unabdingbar, vor Ort Studien und Skizzen anzufertigen. Mit den gesammelten Entwürfen wird der Fundus des Künstlers gefüttert, aus dem er im Atelier seine Werke planen und umsetzen kann. Und wo wäre dies besser möglich als in Venedig, Florenz oder Rom? Stangenberg-Merck unternahm auch Reisen nach Frankreich, Belgien und in die Niederlande, aber keine Destination hinterließ einen ähnlich großen Fußabdruck in ihrem Werk wie Italien. Yvonne Weber-Sturm Heidy Stangenberg-Merck in Malcesine/Gardasee, 1955 HSTM, Bergamo, Tusche 1954 HSTM, San Gimigniano 2, Tusche, 1954; HSTM, San Gimgniano 3, Tusche, 1954 HSTM, Toscana, Tusche, 1949; HSTM, Toscana, Öl auf Hartfaserplatte, 1951 v.l.n.r.: HSTM, Foro Romano 1, Roma 2, Roma, Tusche, 1951 HSTM Procida, Tempera, 1960 HSTM, Sizilien, Tusche, 1953
In Heidy Stangenberg-Mercks Werk findet sich eine Vielzahl von Zeichnungen und Malereien, die in Ostfriesland, genauer gesagt in Varel-Dangast am Jadebusen entstanden sind. Die Malerin hat das Nordseebad einige Male besucht und immer wieder ihre Eindrücke auf Papier und Leinwand gebannt. Die Liebe zu Meer, Strand, der weiten Landschaft und zur Schifffahrt kennen wir bereits von ihren griechischen Impressionen, aber auch norddeutsche Landschaften hatten für die Malerin ihren Reiz. Ein frühes Temperabild von 1948, mit schnellem Pinselstrich und lasierendem Farbauftrag gefertigt, zeigt die Geestlandschaft mit abgestellten Reusen. Spätere Bleistift-Zeichnungen zeigen Hafenszenen mit Fischern, die nach getaner Arbeit auf See das Schiff versorgen, Stilleben mit dem frischen Fang des Tages und Landschaften, die typisch für das „Land hinterm Deich“ sind. Woran kein Besucher in Dangast vorbeikommt: Direkt am Watt liegt das Kurhaus, dessen Freisitz Heidy Stangenberg-Merck in einem Bild von 1950 verewigt hat. Im und rund um das Kurhaus haben sich bekannte und weniger bekannte zeitgenössische Künstler wie Anatol Herzfeld, Wilfried Gerdes und Eckart Grenzer mit allerlei Artefakten verewigt. Und überhaupt ist Dangast ab dem beginnenden 20. Jahrhundert gerne Ziel für Künstler gewesen: Der expressionistische Maler Karl Schmidt-Rottluff legte Arbeitsaufenthalte in Dangast ein und auch seine Kollegen Erich Heckel, Max Pechstein und Emma Ritter nahmen in dem malerischen Ort Quartier. Die Malerin Trude Rosner-Kasowski lebte von 1946 bis zu ihrem Tode 1970 in Dangast. In der Sielstraße wohnte bis zu seinem Tod im Jahr 1983 der Maler Franz Radziwill, mit dem Heidy Stangenberg-Merck und Karl Stangenberg bekannt waren. Bei einem Besuch in Dangast 1965 entstanden viele Skizzen und unter anderem zwei Temperabilder, die Atelier und Wohnturm Radziwills und eine Innenansicht der alten Küche mit ihren alten friesischen Kacheln zeigen. Heute ist im vorderen Haus ein Museum zu Ehren Franz Radziwills eingerichtet, das auf jeden Fall einen Besuch lohnt. Yvonne Weber-Sturm HSTM, Hafen von Dangast, Öl auf Hartfaserplatte, 1964 v.l.n.r.: HSTM, Am Deich Dangast, Tusche, 1965; HSTM, Dangast, Bleistift, 1965; HSTM, In Dangast, Bleistift, 1965 HSTM, Kühe in Dangast, Tempera, 1950 HSTM, Pferde in Dangast, Tempera, 1961 HSTM, Dangast, Tusche, 1963 HSTM, Reusen in Dangast, Tempera, 1948 HSTM, Dangast Kurhaus, Tempera, 1950 v.l.n.r.: HSTM, Bei Franz Radziwill, Tempera, 1965; HSTM, Die Küche von Franz Radziwill, Tempera, 1965
Von 1961 bis 1967 wohnte die deutsche Schriftstellerin Annette Kolb im gleichen Haus in der Händelstr. 1 in München-Bogenhausen wie Marietta und ihre Schwester Gretel Merck. In dieser Zeit fertigte Marietta Merck von der Schriftstellerin eines ihrer feinen Bleistift-Portraits an. Auszüge aus einem Interview, welches 1980 von einer Gruppe Schülern eines Gymnasiums aus Butzbach (Hessen) mit Marietta Merck geführt wurde: Mit Frau Annette Kolb wohnte ich lange Zeit im gleichen Haus. Wir sind uns also nicht fremd gewesen und haben gelegentlich gerne ein paar Worte miteinander gesprochen. Trotzdem hinderte mich ihr hohes Ansehen, ihre „Berühmtheit“ daran, sie unbefangen zu bitten, sich für eine Portraitierung zur Verfügung zu stellen. Einmal habe ich dann Mut gefasst, und Annette Kolb sagte bereitwillig zu, mich zu besuchen. Der Tag kam und ihr Besuch wurde Wirklichkeit. Während unserer Arbeit hörte sie auf die Musik einer Schallplatte, die ich für uns aufgelegt hatte. Aber so zügig ich auch arbeitete, „Fräulein Kolb“ - so wollte sie immer angeredet werden - wurde müde und es bereitete mir Mühe, sie wieder gerade auf den Stuhl zu setzen. Sie war über neunzig Jahre alt! Für das fertige Portrait dankte Annette Kolb mir mit ihrem Buch „Mozart“; sie hatte eigens eine Widmung hineingeschrieben. Annette Kolb (mit bürgerlichem Namen Anna Mathilde Kolb, *3. Februar 1870 in München; †3. Dezember 1967 in München) war eine deutsche Schriftstellerin. Sie setzte sich nachhaltig für den Frieden ein und erwarb sich Verdienste um die deutsch-französische Verständigung. In Romanen beschäftigte sie sich kapriziös-anmutig mit dem High-Society-Leben. Daniela Walther v.l.n.r.: Marietta Merck, Fräulein Annette Kolb, Bleistift, 1960; Annette Kolb 1960 (Foto: Imago/Michael Neumeister) Marietta Merck, 1961 zeichnend bei einer Italienreise, umringt von Kindern
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AutorenYvonne Weber-Sturm Archiv
April 2021
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